– Was ich von meinem Mentor Tomas Riehle gelernt habe, welche Arbeiten prägend waren und was mich bis heute begleitet.
Kein anderer Mensch beeinflusste meinen Blick auf Architektur und die Entwicklung meiner fotografischen Fähigkeiten so wie Tomas Riehle. Ich hatte das Glück, im Jahr 2008 meine berufliche und fotografische Laufbahn bei einem der “stilsichersten Interpreten moderner Architektur, die es in Deutschland je gab” (Zitat Rolf Sachsse) zu beginnen und profitiere von seiner langjährigen Unterstützung noch heute - nicht nur als etablierter Architekturfotograf, sondern auch als Mensch. In diesem Artikel möchte ich Tomas Riehles Anspruch und Werk näherbringen und dadurch Parallelen zu meiner Arbeit aufzeigen.
Meine heutige Herangehensweise an Architekturprojekte wurde bereits in den ersten Wochen meiner damaligen Assistenz maßgeblich geprägt. “Tomas Riehle war ein Mensch, der ruhig und überlegt sprach, dann aber auch mit dem Anspruch auf Wahrheit und Willen – dasselbe gilt auch für seine Bilder. Nichts Schnelles, nichts Experimentelles schuf er, aber alles in höchster Präzision und mit bester Gestaltung”. So beschreibt ihn treffend der Autor, Fotograf, Professor und enge Freund Rolf Sachsse.
Mein Qualitätsanspruch an Architekturfotografie ergibt sich seit der Begegnung vor über 10 Jahren genau aus dieser Grundeinstellung. Es ist mir wichtig, meine Fotografie präzise zu komponieren, vor Ort mit der größtmöglichen Sorgfalt zu arbeiten und dabei immer das gestalterische Konzept des Architekten im Auge zu behalten.
Tomas hat mich geduldig an die Geheimnisse der Architekturfotografie herangeführt und sein Wissen immer bereitwillig und gern geteilt. Vieles seiner Haltung als Architekturfotograf ist daher in meine Arbeit eingeflossen. Durch sein Studium beim Bildhauer Erwin Heerich an der Kunstakademie Düsseldorf war er - wie kaum ein anderer - in der Lage ein dreidimensionales Objekt in zweidimensionale Bilder zu übersetzen. Die Mittel waren eben die eines Bildhauers: Volumen modellieren, Proportionen arrangieren, das passende Licht für die Darstellung des Bauwerks suchen und finden. Die Vorstellungskraft für die Wirkung eines dreidimensionalen Gebäudes auf einer ebenen Oberfläche habe ich während der vielen gemeinsamen Architekturprojekte immer weiter ausgebaut.
Auch wenn der technische Aspekt meiner Arbeit sehr stark von Tomas’ präziser Arbeitsweise geprägt ist, nutze ich vor allem die erste Begegnung mit dem Bauwerk dazu, mich in die besondere Situation vor Ort hineinzufühlen und diese auf mich wirken zu lassen. Tomas hat einmal auf die Frage, von was er sich bei seiner Arbeit inspirieren lässt, folgendes geantwortet: “Von der besonderen Situation, die ich vorfinde. Oft lasse ich mich „verführen“ – geht es doch darum, Architektur (mit allen Sinnen) zu erleben (erspüren) und nicht nur zu sehen. Zu einem angemessenen Bild zu kommen ist weniger ein intellektueller, als ein gefühlsmäßiger Vorgang.”
Nun könnte man behaupten, Architekturfotografie wäre nur eine weitere Spielart der Fotografie - nichts Besonderes. Bauwerke zu fotografieren, die nicht weglaufen können - wo ist da die Kunst, wo der Mehrwert? Ich habe bisher keinen Menschen getroffen, der eine präzisere Antwort auf die Frage nach dem Wert der Architekturfotografie hatte. Eines der bekanntesten Zitate von Tomas lautet: „Architekten träumen, dass ihre guten Ideen gut gebaute Realität werden – und bleiben. Eine gute Architekturfotografie dokumentiert die Qualität eines architektonischen Entwurfs. Sie lebt oft länger als der schönste Bau.”
Diese Herangehensweise finde ich gleichermaßen visionär und realistisch. Sie deckt sich mit meinem Verständnis für Architekturfotografie, denn den Zugang zur Architektur schafft die Architekturfotografie. Dabei geht es für mich nicht nur darum, dass die Fotografie den Bau überlebt, sondern erst den Zugang schafft. Die meisten Bauwerke erleben wir über Bilder - ohne sie je besucht zu haben. Du siehst: Auch in meinem Wertegerüst steckt viel von Tomas Riehle.
“... gute Architekturfotografie dokumentiert die Qualität eines architektonischen Entwurfs. Sie lebt oft länger als der schönste Bau."
Aus dem Werk von Tomas Riehle haben mich immer seine Formstudien sowie seine fotografischen Langzeitprojekte besonders fasziniert. Darunter die Rue des Hautes Formes, die er 1980 nur mit dem Licht von Straßenlaternen und Baustrahlern bei völliger Nacht aufnahm - und so die Geometrie durch das Spiel aus Licht und Schatten und die Flächen der Bauwerke in den Fokus stellte. An dieser Herangehensweise lässt sich die Vielschichtigkeit von Tomas Riehle erkennen. Vor allem dann, wenn man ergänzend dazu das Projekt “Heerich auf Hombroich” sieht. Auch hier geht es um das Zusammenspiel von Licht und Schatten, um die Betonung von Flächen und eine Dreidimensionalität, die sich in den voluminösen Bauten widerspiegelt.
Daraus konnte ich für die Entwicklung meiner Bildsprache viel lernen. Tomas hat mir beigebracht, dass die Bildästhetik nicht nur von Motiv und Perspektive abhängig sein muss. Stattdessen ist visuelle Konsistenz ein Ausdruck von Haltung und präziser Handwerkskunst. Das zeigt auch das Projekt “Rheinbrücken”, das für Tomas in den letzten Jahren zum großen Thema geworden war. Dabei ist das Konzept ebenso spannend wie die umfassende Bildserie, an der er über mehrere Jahre hinweg - bis zu seinem Lebensende - arbeitete. Ob Holzbretter über kleine Seitenadern des Rheins, in die Länge gestreckte Brücken, die Stadtteile miteinander verbinden oder Staudämme, die die Naturgewalt des größten Flusses Europas visuell einfangen - Tomas hat einen ganzheitlichen Blick auf die außergewöhnliche Architektur von Brücken hergestellt.
Ich betrachte Architektur ebenfalls nicht isoliert, sondern stelle einen Kontext zur Umwelt dar. Das bereichert das Bauwerk und seine visuelle Darstellung in Fotografien. Gebäude werden durch ihren Bezug zur Umgebung und zu ihren Bewohnern zum Leben erweckt. Hier schließt sich der Kreis, denn genauso wie Tomas versuche ich mit meinen Bildern Sinn und Sinnlichkeit eines Bauwerks zu transportieren.
Aus meiner über 10-jährigen Zusammenarbeit mit Tomas Riehle ist ein freundschaftliches, familiäres Verhältnis entstanden. Tomas hat mich als Architekturfotograf, als Künstler und als Mensch fasziniert. So konnte er eine nachhaltige Leidenschaft für Möbeldesign in mir auslösen. Während unsere Zeit kam ich erstmals mit Design-Klassikern in Kontakt, z.B. den legendären Aluminium Chairs von Vitra (Designer: Charles & Ray Eames). In meinem Privatleben umgebe ich mich leidenschaftlich gern mit zeitlosem Design - Tomas hatte darauf großen Einfluss und so steckt auch in jedem besonderen Möbelstück in ein Teil unserer Geschichte.